Saturday, November 27, 2010

"Nervenkrieg" - Weichgekocht durch Propaganda


Der Sommer 1939 ist heiß in ganz Europa. Während sich tausende Deutsche im KdF-Urlaub vergnügen und die Stimmung in der Bevölkerung - wenigstens an der Oberfläche - entspannt ist, geht in anderen Teilen Europas die Angst um, besonders in Polen. Die Goebbelsche Propagandamaschinerie läuft schon monatelang auf Hochtouren. Das Thema: Danzig. Viele Polen bereiten sich schon auf den Krieg vor. Sie erwarten den Krieg. Und, getäuscht durch die staatseigene Propaganda, glauben viele, die Deutschen besiegen zu können, selbst nach dem Hitler-Stalin Pakt.

Ein Aspekt erfolgreicher Propaganda liegt in der schier endlosen Wiederholung eines Themas. Die Rezipienten werden weichgekocht, nicht unähnlich einer Gehirnwäsche. Schließlich erhoffen sie sich das anfangs noch Undenkbare/Untolerierbare. Heute wird man über Jahre hinweg mit Meldungen von (möglichen) Massenvernichtungswaffen (Irak, Iran) und über die "Gefahr des weltweiten Terrors" bombardiert, gestern war es die "freie Stadt Danzig": "Danzig ist deutsch ... war deutsch ... und wird deutsch bleiben". Zum Schluß sind alle bereit.

„Das Wichtigste war die nervöse Erwartung des Krieges, ja eigentlich nicht nur „Erwartung“, sondern die Sehnsucht nach dem Krieg. Man wollte, daß dieser kalte Krieg, der sich "Nervenkrieg" damals nannte, nun endlich vorbeigeht. Wir wurden gewarnt von klugen Leuten: „Ihr werdet Euch noch nach diesem „Nervenkrieg“ sehnen. Ihr werdet sehen, was da kommen wird.“ Die allgemeine Stimmung: „erregt“, „nervös“ und tief überzeugt waren alle: „Die Deutschen werden diesen Krieg verlieren.““ Marcel Reich-Ranicki, damals 19 Jahre alt in Polen (Teil 5/6, 06:47)

„The most important thing was the nervous anticipation of the war, well, actually not only „anticipation“ but the craving for the war. One had the desire that this cold war, which was called „war of nerves“ back then, finally would end. We were warned by smart people: „You will soon yearn for this war of nerves. You will see what will come there.“ The common mood: „excited“, „nervous“, and all were deeply convinced: „The Germans will loose this war.““ Marcel Reich-Ranicki in Poland, then 19 years old (Part 5/6, 06:47)

Der Sommer 1939 (alle 6 Teile auf http://www.dokus4.me)
Interviewpartner:  „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki, die Regisseure Andrzej Wajda und Mario Monicelli, die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich-Nielsen, Schriftsteller Pavel Kohout, Madeleine Riffaud und Hans Keilson, der TV-Komiker Denis Norden, die russisch-deutsche Chemikerin Elena Strum und der Politiker und Historiker Wladyslaw Bartoszewski.

3 comments:

Anonymous said...

danke für den Filmtip

Anonymous said...

Wollen Sie damit sagen, dass wir in der Zeit des neuen "Nervenkrieges" und in der Sehnsucht nach einem echten leben? Wer kann sich jetzt einen großen Krieg leisten? Amerikaner sind pleite, Europäer viel zu demokratisch, Chinesen merkantil, Russen zu schwach!

base2014 said...

ad "Nervenkrieg heute":
Goebbels Propagandamaschinerie war viel massiver, als der derzeitige Spin bezüglich Terrorgefahr. Wird die Taktzahl der Meldungen allerdings wesentlich erhöht und steigt die Zahl der tatsächlichen oder vielmehr vermeintlichen Terroranschläge (vor allem in EUropa), dann kann es durchaus dazu kommen, daß die Bevölkerung gravierende Einschnitte in ihre Grundrechte akzeptiert, welche zu dem Zweck der "Terrorbekämpfung" erlassen werden.

ad "wer sich einen großen Krieg leisten kann": Die derzeitige Tendenz, die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen, große stehende Heere abzuschaffen, bedeutet, daß kleine, militärisch schlagkräftige, gut ausgerüstete Einheiten gebildet werden, die mit HighTech Privatarmeen zusammenarbeiten (wie zB Xe Services LLC (früher bekannt unter dem Namen "Blackwater") - wie es jetzt schon im Irak und in Afghanistan der Fall ist. Große Kriege werden diese kleinen Söldnerheere nicht führen können. Ob sie dem Staat billiger kommen, ist eine andere Frage. Vorderhand sieht es derzeit aus wie "Outsourcing des Krieges". Und Outsourcing ist in vielen Fällen (der Privatwirschaft, also wohl auch für den Staat) tatsächlich billiger. (Wenn man Leute in der Privatwirtschaft fragt, kann Outsourcing allerdings auch ordentlich in die Hose gehen.)

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