Friday, January 20, 2012

Die russischen 5000 Dollar Bettler


Hat hier jemand zu tief ins Wodkaglas geschaut, oder stimmt hier was mit der Übersetzung nicht? Auf die Frage, was denn der Westen an Russland nicht verstehe, anwortete der angebliche Zoologe, Soziologe, und Ex-Redenschreiber Simon Kordonsky für Putin:

"Russland ist anders organisiert. Ein Bettler in New York und ein Bettler in Moskau sind nicht das Gleiche. In Russland ein armer Mensch zu sein ist ein Beruf. Die Invalidität, dass er zum Beispiel keine Hände hat, wird ausgenützt, um Einkommen zu lukrieren. Damit verdient man bis zu 5000 Dollar im Monat. Im Wesentlichen geben intelligente Menschen Almosen, damit wollen sie Buße tun für ihre Intelligenz, die andere nicht haben."

Über welchen verqueren Geisteszuschnitt muß jemand verfügen, um sich auf so widerliche Weise selbst zu widersprechen? 5000-6000 Dollar verdienen in etwa durchschnittliche Programmierer oder Anwälte in Moskau, wo die Lebenskosten allerdings dementsprechend hoch sind. Ist der Mann nie aus Moskau oder St. Petersburg rausgekommen? Hat er nie die Babushki auf ihren kleinen Schemeln am Straßenrand sitzen sehen, wenn sie die kärglichen Schätze ihrer harten Gartenarbeit zu verkaufen versuchen? Weiß er, wie niedrig Pensionen sind, wie wenig Ärzte oder Lehrer in seinem Land verdienen? Betreiben Soziologen in Russland keine empirische Feldforschung oder hat der Mann sich den akademischen Titel auf dieselbe Weise "erworben" wie die Mehrzahl der Abgeordneten der russischen Duma?

Das Interview im österreichischen Standard "Die Russen sind Ressourcenempfänger, aber keine Bürger" ist mit Sicherheit eines der seltsamsten und teilweise widerlichsten, die in letzter Zeit unkommentiert veröffentlicht wurden. Falls die angebliche, scheinbare Oligarchennähe des Herrn Kordonsky tatsächlich zuträfe, dann hätten wir damit aber auch ein Dokument vorliegen, das mehr oder weniger ungeschminkt die Sichtweise derjenigen andeutet, welche in Russland "die Ressourcen verteilen". Es ist jedenfalls kaum vorstellbar, daß Kordonsky sich eine derartige Verhöhnung der Armen und Mittellosen (in seiner Sprache "Ressourcenlosen") daheim in Russland erlauben würde. Und man fragt sich unwillkürlich, ob die markigen Sprüche Putins von seinen Redenschreibern stammen oder jene eigentümlich martialische Sprechweise und sein machohaftes Gebaren in der Öffentlichkeit auf letztere abgefärbt hat.

Es geht hier nicht darum, den empörten Russlandkritiker zu spielen. Putins "gelenkte Demokratie" ist tatsächlich nicht so wesentlich verschieden von der Kleptokratie der USA, dem "offenen Schmiergeldsystem" ("open system of bribary"), wie es der Comedian Bill Maher regelmäßig beschreibt. Die Kritik und Enttäuschung vieler Russen bezüglich der "westlichen Demokratie" sind in vielen Punkten berechtigt. Aber die berechnende Gier und Maßlosigkeit der russischen Oligarchie mit pseudo-wissenschaftlichen Begriffen zu bemänteln oder zu rechtfertigen, ist genauso unerträglich.






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