Tuesday, December 20, 2011

Belfast - In Memoriam Christopher Hitchens

Uninteressant oder gar langweilig war Christopher Hitchens nie. Der Mann, der freiwillig die Waterboarding Foltermethode auf sich nahm, um aus erster Hand berichten zu können, verstarb am 15. Dezember. Vielen Lesern seines kurzweiligen Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet blieb seltsamerweise besonders diejenige Antwort in Erinnerung, die der überzeugte Atheist dem christlichen Radiomoderator Dennis Prager  auf die folgende Frage gab: "Ich solle mir vorstellen, ich befinde mich in einer mir fremden Stadt, und die Nacht breche herein. Ich sähe mehrere Männer auf mich zukommen. Würde ich mich sicherer fühlen oder weniger sicher, wenn ich wüsste, dass sie gerade aus einer Gebetsversammlung kämen?"
Passend zur Adventszeit sollen hier die sechs kurzen Stadteportraits zitiert werden, die Hitchens zum Besten gab, um die Frage wiederum "aus erster Hand" zu beantworten, wobei er sich nur auf die Städte mit Anfangsbuchstaben 'B' beschränkten wollte.


Christopher Hitchens (1949-2011)


"In Belfast habe ich gesehen, wie im Krieg zwischenden christlichen Konfessionen ganze Straßenzüge niedergebrannt wurden. Ich habe mit Menschen gesprochen, deren Verwandte und Freunde von rivalisierenden religiösen Todeskommandos entführt, getötet oder gefoltert worden waren, häufig allein deswegen, weil sie der jeweils anderen Konfession angehörten. In Belfast gibt es einen alten Witz: Ein Mann wird an einer Straßensperre angehalten und nach seiner Konfession gefragt. Als er antwortet, dass er Atheist sei, fragt man ihn: »Protestantischer oder katholischer Atheist?« Der Witz belegt in meinen Augen, dass der Fanatismus sogar den legendären irischen Sinn für Humor zerrüttet hat. Dessen ungeachtet hat ein Freund von mir so etwas tatsächlich erlebt und fand das alles andere als amüsant. Als Vorwand für das Chaos dienen konkurrierende Nationalismen, doch die Sprache, deren sich die rivalisierenden Horden auf den Straßen befleißigen, ist durchzogen von Verunglimpfungen der jeweils anderen Konfession (»prods« für Protestanten und »teagues« für Katholiken). Viele Jahre lang grenzte das protestantische Establishment die Katholiken aus und unterdrückte sie, ja, die Gründung des Staates Ulster stand unter dem Wahlspruch: »Ein protestantisches Parlament für ein protestantisches Volk«. Sektierertum entsteht praktischerweise ganz von allein und generiert mit schönerRegelmäßigkeit Sektierertum auf der anderen Seite. Über den wichtigsten Punkt war sich die katholische Führung schnell einig: Sie wünschte vom Klerus beherrschte Schulen und getrennte Stadtviertel, um ihren Einfluss zu sichern. Also drillte sie im Namen Gottes Generationen von Schulkindern mit den alten Hasstiraden und tut das bis heute. Schon beim Wort »drillen« wird mir übel: Mit einem elektrischen Bohrer (drill) pflegte man denjenigen, die sich mit den religiösen Banden anlegten, gern die Kniescheibezu zertrümmern."
Heyne, München, 2009, Kapitel 2, S. 30-42.




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