Thursday, December 22, 2011

Bombay - In Memoriam Christopher Hitchens


Uninteressant oder gar langweilig war Christopher Hitchens nie. Der Mann, der freiwillig die Waterboarding Foltermethode auf sich nahm, um aus erster Hand berichten zu können, verstarb am 15. Dezember. Vielen Lesern seines kurzweiligen Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet blieb seltsamerweise besonders diejenige Antwort in Erinnerung, die der überzeugte Atheist dem christlichen Radiomoderator Dennis Prager  auf die folgende Frage gab: "Ich solle mir vorstellen, ich befinde mich in einer mir fremden Stadt, und die Nacht breche herein. Ich sähe mehrere Männer auf mich zukommen. Würde ich mich sicherer fühlen oder weniger sicher, wenn ich wüsste, dass sie gerade aus einer Gebetsversammlung kämen?"
Passend zur Adventszeit sollen hier die sechs kurzen Stadteportraits zitiert werden, die Hitchens zum Besten gab, um die Frage wiederum "aus erster Hand" zu beantworten, wobei er sich nur auf die Städte mit Anfangsbuchstaben 'B' beschränkten wollte. Portrait Nr. 3 religiös vergifteter Städte:


Christopher Hitchens (1949-2011)


"Auch Bombay galt früher als Perle des Orients mit seinen Lichtern, die sich wie Perlenketten an der Küstenstraße entlang ziehen, und seiner prächtigen britischen Kolonialarchitektur. Es war eine der vielgestaltigsten und pluralistischsten Städte Indiens, deren Facettenreichtum Mira Nair in seinen Filmen und Salman Rushdie vor allem in seinem Roman Des Mauren letzter Seufzer raffiniert auf den Grund gehen. In den Jahren 1947 und 1948, als der großen historischen Bewegung für ein selbst regiertes Indien die Forderungen der Muslime nach einem eigenen Staat und der Umstand, dass die Kongresspartei von einem gläubigen Hindu geführt wurde, zu schaffen machten, gab es zwar Kämpfe zwischen den verschiedenen Religionen. Doch brachten sich damals wahrscheinlich mehr Menschen vor dem religiösen Blutrausch nach Bombay in Sicherheit, als von dort flohen. Wie so oft in Städten, die am Meer liegen und Einflüssen von außen ausgesetzt sind, stellte sich wieder eine Form der kulturellen Koexistenz ein. Eine große Minderheit bildeten die Parsen, die Anhänger des Zarathustra, die in Persien verfolgt worden waren, und die Stadt bot auch einer historisch bedeutenden jüdischen Gemeinde ein Zuhause. Doch Mr. Bai Thackeray und seine hindunationalistische Bewegung »Shiv Sena« gaben sich damit nicht zufrieden. In den Neunzigerjahren beschloss Thackeray, Bombay müsse von seinen Religionsbrüdern und für sie regiert werden, und ließ Horden von Schlägernauf die Straßen los. Nur um zu beweisen, dass er auch das konnte, benannte er die Stadt in Mumbai um, weshalb ich sie unter ihrem traditionellen Namen in meine Liste aufnehme."

Heyne, München, 2009, Kapitel 2, S. 30-42.



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