Tuesday, June 12, 2012

Ein spätes Nachwort


"Seit jeher ist es mir wichtig, Dinge zu verändern. Worte und Vorstellungen sind für mich nur interessant, wenn sie zum Handeln führen. Schon immer brach ich leidenschaftlich gern mit alten Gewohnheiten, um das Unmögliche möglich zu machen und neue Handlungsspielräume zu eröffnen. Deshalb begann ich bereits in jungen Jahren, Verantwortung zu übernehmen und das auszuüben, was wir gemeinhin "Macht" nennen."*

Vor einem Monat, am 6. Mai 2012, verlor der Mann, der so gerne "Verantworung" übernahm, gegen seinen Herausforderer in einer Stichwahl mit 48,38 gegen 51,62 Prozent der Stimmen: Nicolas Sarkozy. Den Zug zur Macht hatte er wohl, aber die Verantwortung müssen nun - wie immer - die anderen tragen. Das Eingangszitat ist mehrfacher Hinsicht interessant.


Erstens erscheint es mir immer suspekt, wenn Leute von sich sagen, sie wollten etwas verändern, ohne zu sagen, was es denn ist, das sie verändern wollen. Die Skepsis, die man gegenüber solchen Ansprüchen empfindet, ist nicht unbegründet und beruht auf den schlechten Alltagserfahrungen mit Leuten, die sich nur wichtig machen wollen, aus Gründen heraus, die in ihrer problematischen Persönlichkeit liegen. Ziel haben sie keins, aber Macht wollen sie schon.

Zweitens, scheint Sarkozy darin einem gewissen Hang zum Pragmatismus Ausdruck zu verleihen: "Worte und Vorstellungen sind für mich nur interessant, wenn sie zum Handeln führen". Demnach ist eine mathematische Gleichung, für die keine Anwendung bekannt ist, uninteressant. Dasselbe gilt auch für politische Theorien. Aber welche Theorie führt denn von sich aus zum Handeln? Theorien enthalten üblicherweise keine Regeln oder Rezepte für ihre Anwendung. Dafür muß man schon selbst sorgen. Es gibt natürlich Ausnahmen - eine Theorie der Temperaturmessung enthält meistens auch Handlungsanweisungen. Wahrscheinlich wendet sich Sarkozy hier einfach gegen das Theoretisieren im Allgemeinen, die Grundsatzdebatten, das Philosophische - was einen nicht wundert, wenn man die französische Kaugummi-Philosophie kennt (die deswegen so genannt wird, weil sie gerne sehr dehnbare Begriffe enthält). Solche Typen gibt es. Sie reden davon, wie unnütz und uninteressant Philosophie ist, merken aber nicht, daß sie selbst philosophieren - und das meistens sehr schlecht. Rationale Diskussion beruht auf expliziter Argumentation bei der man von Voraussetzungen (Prinzipien) ausgehend Schlüsse zieht. (Selbst induktive Schlüsse oder Wahrscheinlichkeitsargumente kommen nicht ohne allgemeine Annahmen und Regeln aus). Berufspolitiker geben ihre (philosophischen) Prinzipien leider nur selten bekannt. Diese bieten immer einen Angriffspunkt für ihre Konkurrenten, vor allem wenn diese Ausgangspunkte schlecht überlegt sind. In gewisser Weise werden Politiker auch berechenbarer, wenn sie explizit argumentieren. Und so werden Leute ans Licht der Öffentlichkeit geschwemmt, die sich jederzeit durchlavieren, die nichts anderes zu bieten haben, als geschickte ad-hoc Lösungen, die sich auf den ersten Blick gut verkaufen lassen. Und wenn die Medien erwähnen, dieser oder jener sei "pragmatisch", dann heißt das nichts anderes, als daß er gut im Durchwurschteln ist, weil er sich nicht an "ideologische" Prinzipien zu halten hat (als ob alle Prinzipien Dogmen wären) und leicht zu dem überredet werden kann, was andere von ihm wollen. ("Man kann mit ihm Geschäfte machen.") Pragmatische Politiker erkennt man sehr leicht an ihrer verkürzten oder überhaupt fehlenden Argumentation. Stattdessen beschränken sie sich darauf "Standpunkte" einzunehmen - meistens gerade diejenigen, die gefragt sind (von wem auch immer). Sarkozy war so ein Typ. Wenn man seine "Bekenntnisse" liest, stößt man immer wieder auf fehlende oder verkürzte Argumentationen, dafür umso mehr auf seine Standpunkte - eben seine "Bekenntnisse". 'Bekenntnispolitik' wäre ein treffender Ausdruck.

Nicht daß mir alle seine Standpunkte unsympathisch gewesen wären. Ich stimme ihm zu, wenn er meint, man müsse fordern können, Spott zu ertragen, und auch daß es in einer Demokratie keine Tabuthemen geben sollte (bzw. daß die Freiheit der Meinungsäußerung eines der höchsten Güter ist). Doch seine Argumentation für diese Forderungen ist eher schwach, obwohl sie für seine Begriffe wirklich ausführlich ist:

"Ich bin überzeugt, daß in unserer Demokratie eher zu wenig als zu viel debattiert und kritisiert wird. Diese Auffassung brachte mich dazu, Position für die Karikaturisten zu beziehen, die mit ihren Mohammed-Zeichnungen einen Skandal auslösten. Man kann mir also kaum Voreingenommenheit gegenüber Karikaturisten vorwerfen, die mich, das kann man wohl so sagen, nicht immer gut behandelt haben. Ich wurde auf alle nur erdenkliche Weise und zu jedem erdenklichen Thema karikiert. Mein Privatleben, mein Aussehen, meine Worte und meine Politik wurden angegriffen, und das nicht immer besonders elegant und häufig sogar schmerzhaft.
Doch wie überzogen Karikaturen auch sein mögen, sie nutzen der Demokratie. Sie zwingen die Politiker, auf dem Boden zu bleiben. Sie bringen aktuelle Sachverhalte oder den Charakter bestimmter Personen oft treffend auf den Punkt. Sie bilden einen Freiraum, den die Demokratie braucht. Es darf keine Tabuthemen geben, sonst käme eine sehr lange Liste heraus. Ich glaube an Gott und gehe manchmal in die Kirche, doch ich glaube zugleich, dass Religion, wie auch politische Macht, Kritik, Karikatur und Spott hinnehmen muss. Das trifft für alle Religionen zu, auch auf den erst jüngst in Frankreich angekommenen Islam, der nicht die Gleichheit der Rechte ohne die Gleichheit der Pflichten beanspruchen kann. Respektlos gegenüber den Muslimen sind letztlich nicht ein paar Karikaturen, die den Propheten verspotten, wie auch Jesus Christus verspottet wird. Respektlos wäre vielmehr anzunehmen, die französischen Muslime unterschieden sich von den anderen Bürgern."**

Aber, so überzeugend sein knappes Argument der Schiefen Ebene auf den ersten Blick auch sein mag, es ist als Begründung problematisch. Versuchen wir es einmal zu paraphrasieren und nehmen wir an, daß A, .., Z irgendwelche Aussagen seien:


1) Wenn wir verbieten, daß über A öffentlich gespottet wird, dann müssen wir auch verbieten, daß über B, C, ..., Z öffentlich gespottet werden darf. (Konsistenzforderung, Vermeidung von Double-Standards))
2) Wir verbieten, daß über A öffentlich gespottet werden darf.
K) wir müssen auch verbieten, daß über B, C, ..., Z öffentlich geredet werden darf.


Die Konklusion K) ist aber absurd (schränkt unseren Freiraum zu sehr ein), also werden/können wir nicht verbieten, daß über A öffentlich gespottet werden darf (falls wir Double-Standards vermeiden wollen, und das wollen wir.)


Nun, Argumente der Schiefen Ebene sind eigentlich Argumentformen, die etwas unterschlagen, nämlich eine explizite Formulierung von 1). ABER, wenn die Konsistenzforderung explizit begründet wird, dann kann sich das Argument als logisch korrekt herausstellen. Aber dazu muß man die Kriterien explizit angeben, welche einen logischen Schluß von A nach B, C, ..., Z erlauben, m.a.W. Kriterien, nach denen B, C, ..., Z wesentlich (juristisch, moralisch) gleichartig oder ähnlich sind. Die Mühe hat sich Sarkozy aber nicht gemacht. (Er spricht nur von Tabuthemen - aber das kann alles sein.)
Man könnte es probieren mit dem Kriterium "ein Religionsgründer zu sein". Aber dann könnte jeder Salafist daherkommen dieses Kriterium infrage stellen: Warum greifen wir Religionsgründer heraus, warum dürfen wir nicht alle Menschen - ob tot oder lebendig - verspotten? Mögliche Antwort: solange die Persönlichkeitsrechte nicht veletzt werden und sonstige Tatbestände nicht vorliegen - kein Problem! In Frankreich mag dies greifen (keine Ahnung), im deutschen Recht gibt es da allerdings einige Gummiparagraphen, die das Verspotten von religiösen Aussagen sehr schnell ins kriminelle Eck rücken (siehe German Criminal Code § 166).
Folgendes sehr einfaches Kriterium ist da eher vielversprechend: "ist die Meinung einer Person". Über Personen zu spotten mag in vielerlei Hinsicht problematisch sein und zeugt oft genug von schlechtem Geschmack oder Respektlosigkeit. Aber die Meinungen von Personen zu kritisieren, zu karikieren und zu verspotten, das sollte jedem offen stehen. Ein guter alter Standard der kritischen Rationalisten lautet: Töte Meinungen, nicht Menschen! Wenden wir dieses Kriterium auf Sarkozys Argument an, dann macht es plötzlich wirklich Sinn:


1) Wenn wir verbieten, daß über religiöse Meinungen/Ansichten öffentlich gespottet wird, dann müssen wir auch verbieten, daß über politische, wissenschaftliche, ökonomische, philosophische, etc. Meinungen/Ansichten öffentlich gespottet werden darf. (Konsistenzforderung, Vermeidung von Double-Standards))
2) Wir verbieten, daß über religiöse Meinungen öffentlich gespottet werden darf.
K) wir müssen auch verbieten, daß über  politische, wissenschaftliche, ökonomische, philosophische, etc. Meinungen/Ansichten öffentlich gespottet werden darf.

Die Konklusion K) ist aber absurd (schränkt unseren Freiraum zu sehr ein), also werden/können wir nicht verbieten, daß über religiöse Meinungen öffentlich gespottet werden darf (falls wir Double-Standards vermeiden wollen, und das wollen wir.)

Und wenn religiöse Fanatiker das Karikieren ihrer Ansichten nicht aushalten, dann sollten sie dorthin gehen, wo es verboten ist.

Seine Standpunkte gut zu begründen war Sarkos Sache nicht. Ansonsten war er doch ein lustiger Kerl, der oft für gute Stimmung sorgte.
  • Berühmt wurde die Schwindelei von seiner angeblichen Anwesenheit beim Fall der Berliner Mauer. Der Online Spiegel berichtete enthusiastisch am 8. November 2009 davon, Sarkozy hätte dies mit einem Foto auf Facebook bewiesen. Aber schon einen Tag später flog der Betrug auf und die Welt spottete berechtigtermaßen und ganz ausführlich darüber. Die verschiedenen Fotomontagen, die Sarkozy unter dem Motto "Ich war dabei" karikierten, bringen einen noch heute zum Lachen!





  • Sein Auftritt nach dem Treffen mit der russischen Delegation beim G8 Gipfel im Juni 2007 war nicht minder komisch: 





  • Einmal fühlte ich mich sogar bemüßigt ihn gegenüber dem Infotainment zu verteidigen:




  • Und leider ging sein "off the micro" Sager über Netanyahu völlig unter.



Schauen wir mal, auf welchem Teil der politischen Bühne Sarkozy demnächst wieder auftauchen wird, um "das auszuüben, was wir gemeinhin "Macht" nennen". 



 *Sarkozy, Nicolas: Bekenntnisse. Frankreich, Europa und die Welt im 21. Jahrhundert. Goldmann. München, 2008. (Einleitung, S. 27)
** (Kapitel 5, S. 118)

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